Einfach mal versuchen!

6.30 Uhr. Der Wecker klingelt. Heute eine halbe Stunde später. Damit fällt mein morgendliches Gebet schon mal flach. Gestern Abend ist es wieder spät geworden. -  Aufstehen, duschen, rasieren, Frühstück vorbereiten. Ein kurzer Blick in die Zeitung. Dann ab an den Schreibtisch. Ein erster Blick in den Kalender. Sofort geht in meinem Kopf das morgendliche Kino ab: Ich sehe den Tag wie einen Film vor meinem inneren Auge abspulen. All das, was ich mir vorgenommen habe. Viel, viel Wichtiges – natürlich! Nichts aufschiebbar. Da bleibt keine Zeit.

Vielleicht kennen Sie das: Die Zeit rennt uns weg. Sie zerrinnt uns wie Sand zwischen den Fingern. Und es gibt viel zu viel zu tun für die begrenzte Zeit, die wir haben. Dann wächst der Wunsch nach einer Aus-Zeit. Und doch: Gerade dann, wenn es ganz dicke kommt, streichen wir schnell die Aus-Zeiten aus Kalender und Hirn. Wir haben eben keine Zeit für Aus-Zeit. Klar kennen wir die Sehnsucht, dass es anders wäre. Aber irgendwie gibt es da zu viele Hindernisse.

Geht das eigentlich auch anders? Von Jesus heißt es im Matthäusevangelium, dass er in einer echten Stresssituation eine Aus-Zeit nimmt. In Kapitel 14 wird erzählt, dass er am Abend 5000 Menschen durch ein Brotwunder satt gemacht hat. Und dann geht es in der Nacht gleich weiter mit der Rettung seiner Jünger aus Seenot. Beeindruckende Geschichten. So kennt man Jesus. Leidenschaftlich engagiert für das Reich Gottes. Aber dazwischen stehen zwei kurze Sätze. Kurz genug, um sie zu überlesen. Da heißt es: Nachdem Jesus die Volksmenge verabschiedet hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Als es dunkel wurde, war er immer noch allein dort. (Mt 14, 23)  Jesus braucht eine Aus-Zeit. Er macht sich los von der Menschenmenge. Es funktioniert nicht, immer nur zu geben und immer nur für andere da zu sein. Es funktioniert nicht, immer nur Kranke zu heilen, immer nur Worte zu sagen, die ins Herz treffen, und Brotwunder zu vollbringen. Es funktioniert nicht, immer nur engagiert zu sein in Job, Familie und Verein. Jesus braucht eine Aus-Zeit.

Drei Dinge sind für seine Aus-Zeit wichtig: Er steigt auf einen Berg. Er ist allein. Er betet. Vielleicht ist das eine der schwierigsten Aufgaben in unserem Alltag heute: Einen 'Berg' zu suchen, auf dem ich allein sein kann, auf dem ich nicht online bin, und andere erwarten, dass ich sofort auf ihre Nachricht reagiere. Einen 'Berg' auf dem mich keine Ansprüche anderer erreichen, ich aber auch meine eigenen loslassen kann. 

Und Jesus betet. Der Philosoph Sören Kierkegaard schreibt einmal: Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich ein noch größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht nur Schweigen ist, sondern Hören.

Aus-Zeit. Beten. Auf Gott hören. Mitten im Alltag. Auf meinem 'Berg'. Einfach mal versuchen.

Ihr Sieghard Flömer

ANGEDACHT 2019

FebruarSieghard FlömerEinfach mal versuchen!
MärzSieghard Flömer

Was soll das schon bringen?

JuniSilke ReinmuthWas für ein Vertrauen...
AugustRainer WilmerBraucht die Nächste ein Gesicht?
SeptemberAnnina LigniezStay soft oder weinen erwünscht!
DezemberClaudia GüntherUnter den Wolken: Licht-Zeit